Liebe Hörerinnen, liebe Hörer!
Zunächst möchte ich dem Titel „Der Mensch ist die Medizin des Menschen“ ein Sprichwort entgegensetzen, das uns allen bekannt ist: „Der Mensch ist der Wolf des Menschen.“ Wenn wir im Fernsehen tagtäglich die Kriegsschauplätze, die es überall in der Welt gibt, vorgeführt bekommen, sehen wir, wie grausam getötet wird, wie Tausende von Menschen, vor allem Frauen und Kinder auf der Flucht sind, wie unehrlich sogenannte Freunde miteinander umgehen. In einem indischen Märchen wird berichtet, dass ein Brahmane in einer Zisterne drei Tiere vorfindet, die zusammen dort mit einem Menschen gefangen sind. Nachdem er die drei Tiere gerettet hat, warnen sie ihn, auch den Menschen zu befreien, denn er sei böse und verdiene kein Vertrauen. Das erleben wir häufig im Leben, aber ebenso wahr ist die Erfahrung, dass ein Mensch zur Medizin für einen Mitmenschen wird, weil er ihn lange liebevoll beobachtet hat und schließlich erspürt, was er braucht. In diesem Zusammenhang fällt mir eine Geschichte ein, die mir Johann erzählt hat. Johann, ein Junge von 12 Jahren, lag nach einer Blinddarmoperation im Krankenhaus. Als Zimmergenossen hatte er den gleichaltrigen Leo, der bei einem Verkehrsunfall beide Beine gebrochen hatte. Aus den Bemerkungen der Ärzte ging hervor, dass sie Zweifel hatten, ob er je wieder würde laufen können. Leo, der ein begeisterter Fußballspieler gewesen war, reagierte auf diese Diagnose mit Trauer und Verweigerung der Mitarbeit bei den Therapien. Eines Tages besuchte ihn sein Trainer und brachte einen Fußball mit, den er Leo gab. Johann, der dies beobachtete, dachte bei sich: „Wie kann der Trainer dem Leo nur einen Ball schenken, wenn der doch nie mehr wird spielen können“? Aber die Worte des Trainers beim Abschied: „Leo Du schaffst das schon. Wir warten auf Dich!“, hatten Leo aus seiner Lethargie gerissen. Johann sah, wie Leo den Ball mit den Händen hin und her schob, so als ob er seine Füße gebrauchte. Es war einige Monate später, dass Johann am Fußballfeld vorbeikam und zu seiner großen Überraschung Leo entdeckte, der zwar noch immer etwas eingeschränkt, aber wieder mitspielte. Für mich ist diese Geschichte ein Beispiel, wie jemand Medizin für den anderen werden kann, die tatsächlich hilft. Das ist schwer zu verstehen, zeigt aber, wie viele heilende Kräfte in jedem von uns schlummern. Sie sind stärker als alle Pillen, die wir immer wieder mal schlucken müssen.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie bei sich auch diese Kräfte entdecken und umsetzen können.
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