Viele unter Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, kennen den von Phil Bosmans ins Leben gerufenen Bund ohne Namen. Auf einer seiner Monatskarten ist der Kopf eines Kleinkindes zu sehen. Daneben steht folgender Satz: In jedem Menschen schlummert Unbegreifliches.
In der Tat wissen wir nie, was aus einem Kind einmal werden wird. Wir sind und bleiben auch für uns selbst ein Geheimnis. Das Unbegreifliche, das Unergründliche, das nicht Vorhersehbare, das in einem Menschen steckt, kann in alle Richtungen gehen. Ich denke z. B. an die vielfältigen und so unter- schiedlichen Begabungen und Fähigkeiten, die erst im Laufe der Jahre zum Vorschein kommen und sich entfalten. Bei der Taufe von Kleinkindern habe ich mich oft gefragt, was wohl aus jedem einzelnen Kind werden mag. Niemand hat einen Garantieschein dafür, dass so ein kleines Men- schenwesen sich gut entwickeln wird. Das ist meines Erachtens eines der größten Geheimnisse für Eltern und Erzieher. Einfach überraschend und manchmal unbegreiflich sind nicht selten die Reaktionen von Heranwachsenden und ebenso von Erwachsenen, die man als Kinder gekannt hat. Wie oft bleibt uns doch das Verhalten von Mitmenschen schleierhaft! Wir schütteln ab und zu den Kopf und sagen uns: Das hätte ich von ihm nicht gedacht; das hätte ich von ihr nicht erwartet. Manchmal fassen wir uns auch selbst an den Kopf und denken: Wie konnte ich nur! Wir sind also sogar für uns selbst ein Rätsel. Der Mensch ist tatsächlich ein Wesen voller Überraschungen.
Wenn wir so reden und denken, drücken wir in Wirklichkeit etwas ganz Wichtiges aus, nämlich dass ein solches Verhalten nicht unserer Vorstellung von einem guten Menschen entspricht. Es steckt in uns eine Sehnsucht nach Gutsein, nach Liebe. Das Böse, das Misslungene, die Fehltritte erfüllen uns nicht, lassen uns eigentlich unzufrieden. Darin sind wir unzufrieden mit uns selbst und mit den anderen. Ich bin fest davon überzeugt, dass in jedem Menschenherzen die Sehnsucht nach Liebe steckt: wir sehnen uns danach, geliebt zu werden und zu lieben; wir sehnen uns nach Erfüllung in einer nie endenden Liebe. Können Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, das bestätigen oder sind Sie mit Ihrer bisherigen Lebenserfahrung zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt? Ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, an eine solche tiefe Wurzel des Guten in jedem Menschen zu glauben. In mir lebt jedenfalls die Hoffnung oder zumindest der Wunsch, diesen Glauben trotz aller Enttäuschungen nicht zu verlieren.
"Wort in den Tag" wird von einer Gruppe ehrenamtlicher Autoren erstellt.
Die dargestellten Inhalte spiegeln nicht die Meinung des BRF wider.