Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
in meinem letzten Beitrag habe ich vom Baum gesprochen, dem Baum als Symbol des Lebens. Wir reden ja auch von unserm „Familienstammbaum“, einem verzweigten Astwerk, das viele Jahre oder sogar Jahrhunderte zurückgeht in die Geschichte unserer Familie.
Und sicherlich haben wir schon oft vor einem Baum gestanden und ihn betrachtet.
Dazu fand ich die nun folgende Geschichte:
„Alt war die Eiche geworden. Alle im Wald wussten davon, wussten, dass sie ein langes Leben hinter sich hatte, wenn auch keiner recht sagen konnte, wie alt sie war.
Ihre Nachbarin, die Kiefer, meinte: Als ich anfing zu wachsen, stand die Eiche schon da, breit und hoch. Das war vor 100 Jahren. Und schon damals hielten sie alle für einen alten Baum.“
Die jüngeren Bäume aber wußten nichts zu sagen. Ihnen schien, als wäre die Eiche schon immer da gewesen und hätte immer schon in ihrem frischen Grün dort gestanden. Allerdings bekam die Eiche im Frühling ihr grünes Laub ein wenig später als die anderen. „Das kommt vom Alter“, sagte die Kiefer. „Bei ihren Jahren ist es gar nicht leicht immer noch zu grünen.“ Dafür trennte sie sich im Herbst später als alle anderen von ihren Blättern. Wenn die schon längst ihr Laub verloren hatten, trug der Eichenbaum immer noch sein rostfarbenes Kleid bis an den Winter heran.
Alle Bäume im Wald waren der Meinung: „Vielleicht sind das die letzten Blätter der Eiche.“
An einem Morgen war es, in aller Frühe, da brach sie zusammen; die Sonne wollte gerade aufgehen. Die Eiche lag lang hingestreckt am Boden. Mitten in den Blumen des Waldes. Und allen war, als erhebe sie sich gleich wieder und lebe noch einmal so lange, wie sie schon gelebt hatte, tausend Jahre lang. - Im Frühjahr darauf, als die Bäume des Waldes ihr Blattwerk ausstreckten, lag die alte Eiche noch genauso da, wie sie gefallen war. Moos hatte sich auf ihr niedergelassen, und es keimten mehrere Eichensprösslinge auf ihr. Sie streckten ihre jungen, frischen Triebe bereits in den Himmel. Die Eiche lebte weiter. Hoffnung für ein neues Leben.
Liebe Hörerinnen und Hörer, auf Wiederhören.
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