Zum Thema: Gefährliche Leseratten
Liebe Hörerinnen und Hörer,
jetzt, wo wir uns seit einem Jahr kennen, kann ich es ihnen ja erzählen: Ich bin lesesüchtig. Sie kennen das vielleicht von Nikotin oder Kaffein, bei mir sind es Bücher. Ich gehe nicht aus dem Haus ohne Buch. Man weiß nie: ich könnte ja zwei Minuten auf eins der Kinder warten müssen. Wenn ich mit einem Buch im Sessel sitze, da kann um mich rum eine Sintflut ausbrechen, ich merke nichts. Das Schlimmste ist, dass ich sogar zwei meiner Kinder angesteckt habe. Die Jungs lesen am liebsten Fantasy-Romane und ich Thriller.
Letzthin hörte ich wie ein Journalist den Literaturwissenschaftler Hans-Heino Ewers befragte: „ Was halten sie von der Theorie, dass Gewalt in Büchern die Leser gewalttätig macht?“ Oh Schreck. Daran hatte ich noch nicht gedacht. Ich habe immer gedacht, dass Lesen intelligent macht und aussieht, besonders seit ich eine Brille trage. Aber ganz im Ernst: Soll ich jetzt Bücher zensieren, so wie Videospiele und Horrorfilme? Professor Ewers Antwort lautete: „Ich halte es für normal, dass Jugendliche von Gewalt fasziniert sind. Seltsam finde ich dagegen, dass Erwachsene daran festhalten. Unsere tägliche Medienwelt ist von Hysterie, Panik und Gewalt bestimmt. Allein in den Nachrichten sind wir jeden Tag hohe Dosen davon gewöhnt…“
Die reale Welt ist also irritierender als die Buchwelten. Dann kann ich ja getrost weiter schmökern und meine Kinder lesen lassen, was sie wollen. Ob fremde Kreaturen in fernen Welten in den Kampf ziehen oder ob dubiose Morde aufgeklärt werden, immer noch siegen die guten Mächte. Und immer noch identifizieren wir uns heimlich mit den Helden. Vielleicht gewinnen wir dadurch sogar Kraft und Hoffnung für den Alltag.
Auf jeden Fall ist es das, was ich Ihnen heute wünsche: Kraft, das Gute zu sehen in einer Welt, die oftmals zu sehr von Gewalt geprägt ist.