Vom Nordpol - von dem zur Zeit viele reden, weil auch er unter dem Klimawechsel zu leiden hat - wurde uns folgende - fast schon prophetische - Geschichte von Gianni Rodari überliefert :
Am Nordpol schnupperte ein Eisbär eines Morgens. Er roch einen ungewöhnlichen Duft in den Lüften und machte die große Eisbärin darauf aufmerksam. Aber erst die kleinen Eisbären entdeckten es. Es war ein ganz kleines Veilchen, das vor Frost zitterte, aber mutig die eisige Luft, die es umwehte, mit seinem süßen Duft durchdrang, denn das war seine Pflicht und Aufgabe.
Und noch vor dem Abend verbreitete sich am Nordpol die Nachricht: Ein kleines merkwürdiges, duftendes Wesen von violetter Farbe ist auf der Eiswüste aufgetaucht, es steht nur auf einer einzigen Pfote und bewegt sich nicht.
Um sich das Veilchen anzusehen, kamen Seehunde und Walrosse, aus Sibirien eilten Rentiere herbei, und von noch weiter Weißfüchse, Wölfe und Möwen. Alle bewunderten die unbekannte Blume, ihren zitternden Stengel, alle atmeten ihren Duft ein; aber immer blieb noch genug für die neuen Besucher übrig, das Veilchen duftete wie am Morgen.
In dieser Nacht aber bebte der ganze Pol von einem knarrenden Stöhnen. Das ewige Eis erzitterte wie Glas und brach an manchen Stellen. Das kleine Veilchen nahm seine ganze Kraft zusammen und strömte seinen Duft aus, so stark es nur konnte, so, als ob es entschlossen wäre, diese unendliche Eiswüste aufzutauen und sie in ein warmes, tiefblaues Meer zu verwandeln oder in eine grüne Wiese. Doch diese übermächtige Anstrengung erschöpfte es vollkommen. Als der Morgen heraufdämmerte, sah man, wie es dahinwelkte, den Kopf müde auf seinen Stengel hängen ließ und Farbe und Leben verlor.
Sein letzter Gedanke muss ungefähr dieser gewesen sein: "Nun sterbe ich also... aber irgend jemand muss doch mit Duften anfangen... eines Tages werden Millionen Veilchen hier blühen. Das Eis wird auftauen, und es wird Inseln hier geben und Häuser und Kinder.
Das wünsche ich auch ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, am heutigen Tag:
duften Sie für ihre Mitwelt!
