Heute mit Aloys Jousten
Neulich kam ich ins Gespräch mit einer Krankenpflegerin. Sie ist seit mehr als 30 Jahren im Beruf. Sie spricht mit Begeisterung von ihrer Arbeit. Man spürt, dass sie die Kranken liebt. Diese Frau erzählt mir dann, dass sie geschieden ist. In ihrem Alter - zwischen 50 und 60 - fragt sie sich, welchen Sinn ihr Leben hat. Beruf, ja, aber da ist die gescheiterte Ehe. Da ist der Mann, den sie immer noch liebt. Eine neue Beziehung will sie nicht. Ist ihr Leben wirklich ein Scherbenhaufen?
Bald zieht der Herbst ins Land. Zeit der Ernte in der Natur, Zeit des Rückblicks. Anselm Grün schreibt: Die Ernte ist eingefahren. Im Herbst meines Lebens geht es nicht mehr um Ernten, sondern um Sein, um Staunen über den bunten Zauber des Lebens, um die stille Freude über all das, was in mir gewachsen ist. Der Herbst stimmt mich milde. Im milden Herbst sehe ich auf mein Leben und bin einverstanden mit allem, was ist. Es ist eine zarte, kaum wahrnehmbare Freude, die der Herbst in mir weckt, nicht mehr die laute Freude des Sommers. Aber diese stille Freude kann mir niemand nehmen. Sie wird überwintern. Sie wird durchtragen, wenn es in mir und um mich herum kalt wird.
Pater Grün ist selbst im Herbst des Lebens. Es freut mich, dass er so von sich redet. Er hilft mir, den Herbst meines Lebens so zu erleben. Sollten wir nicht sehen und erkennen, was gut in unserem Leben war, sollten wir einander nicht helfen, dies zu entdecken und zu bejahen?
Die Frau, von der ich eingangs sprach, schien mir wenig Selbstvertrauen zu haben. Ich habe ihr gesagt: Ihre Ehe ist gescheitert. Das können Sie wahrscheinlich nicht mehr rückgängig machen. Aber die treue Liebe zu ihrem Mann ist in meinen Augen etwas Wertvolles und Bleibendes. Da ist doch etwas in Ihnen gewachsen trotz allem äußeren Scheitern. Und Ihre Kinder und die Freude an Ihrem Beruf und wahrscheinlich noch vieles mehr gehört doch zu dem, was in Ihnen eine stille Freude wecken kann. Eine zarte, kaum wahrnehmbare, aber darum nicht weniger echte Freude.
Mögen sich unsere Herzen im Herbst des Lebens so erfreuen können.