Haute möchte ich Ihnen eine Geschichte aus dem Leben des bekannten Pianisten Arthur Rubinstein erzählen:
„Vom Glück der Sinne“
Als junger Mann war ich einmal sehr verzweifelt, ganz auf Null. Ich hatte kein Geld, konnte das Hotel nicht bezahlen; ich war nicht verliebt; mit meinen Eltern war ich ganz auseinander. Meine Karriere schien am Ende. Alles ging schief. Ich war zwanzig oder einundzwanzig Jahre alt und ich wollte mich erhängen. Aber es ging nicht. Sie sehen, ich lebe noch! Nachher, als ich auf die Straße kam, fühlte ich mich als neuer Mensch. Ich sah die Welt mit anderen Augen an; ich sagte zu mir: „Was bist du doch für ein Dummkopf! Was macht es denn, wenn du ins Gefängnis kommst, weil du die Schulden nicht bezahlen kannst? Im Gefängnis kannst du an die Musik denken. Vielleicht bekommst du ein Buch zu lesen. Du kannst an die Liebe denken. Du kannst
alles Mögliche tun. Niemand kann dir das Denken nehmen. Du kannst ein neues philosophisches System aushecken. Und so weiter.“ Ich dachte weiter: „Auch wenn du krank wirst und ins Spital musst, lebst du immer noch, und du kannst wieder gesund werden.“
Sehen Sie, das Leben hat so wunderbare Dinge für uns bereit: Blumen, Musik, Poesie, Bücher, Gedanken, Liebe. Das kann uns niemand wegnehmen. Ich habe eine merkwürdige Gewohnheit: ich freue mich jeden Morgen, wenn ich aufstehe, dass ich noch sehen kann, hören kann, riechen kann; dass ich noch alle Sinne besitze; dass ich noch gehen kann. Das sind doch wunderbare Geschenke! Es könnte ja auch anders sein. Gut, auch damit müsste ich mich abfinden. Aber man muss doch ein bisschen dankbar sein. Wir sind so undankbar. Wir haben alle unsere Sinne. Aber wenn einem Menschen hundert Franken fehlen, um Kaviar oder etwas anderes Unnötiges zu kaufen, dann schimpft er und findet das Leben scheußlich. Wir jammern über Kleinigkeiten und sehen nicht die großen Dinge, die uns geschenkt sind.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und ein gutes Gehör für wundervolle Musik.