Der heimliche Feind (Über den Neid)
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn unser kleiner Kater einen Schritt vor die Haustüre setzt, höre ich sofort einen Warnpfiff von irgendeinem Vogel. Er signalisiert der Vogelwelt um unser Haus herum: „Achtung einer unserer Todfeinde macht seinen Kontrollgang. Seid vorsichtig, sonst werde ihr gefressen!“
Auch wir Menschen haben viele Feinde. Einer der gefährlichsten stellt sich Ihnen nun vor. Er sagt:
Ich bin gefährlicher als viele Armeen der Welt. Ich greife besonders Menschen an. Ich zerstöre ihr Leben und ihre Werte und fresse immer mehr auf. Ich vergifte dabei die menschlichen Beziehungen. Ich finde meine Opfer überall, unter Reichen und Armen, bei Jung und Alt, unter Gelehrten und Ungelehrten. Ich verhindere viele Erfolge, richte ganze Familien zugrunde, zersetze die Gesellschaft, schleiche mich in alle Büros und Fabriken ein, bin in allen Abteilungen und Gruppen am Werk. Ich mache Herzen krank und Seelen wund, ich zerreiße Netze der Liebe und Zusammengehörigkeit.
Ich war der Grund, warum Kain seinen Bruder Abel tötete, warum Esau seinen Bruder Jakob töten wollte, warum die Söhne Jakobs ihren Bruder Josef hassten, warum die Menschen Jesus kreuzigten, warum Paulus von seinen Volksgenossen fast zu Tode gesteinigt wurde. Ich bin der Grund für unendlich viel Hass und Grausamkeit, Mord und Gräuel, Zerstörung und Verletzung. Meine Macht ist groß, besonders, weil ich nicht ernst genommen werde. Niemand nimmt mich richtig wahr. Ich bin in allen Religionen und Kirchen zu finden und kann auch dort meine zersetzende Tätigkeit ausüben. Auch unter den Christen erkennen mich nur wenige und suchen mich zu meiden. Ich bin immer da und komme immer wieder.
Ich bin dein größter Feind und verfolge dich bis zum Tod. Mein Name ist Neid.
Liebe Damen und Herren, wenn wir doch so wachsam wären wie die Vögel und ein Warnsystem hätten, wenn der Neid seine Runde macht und uns zerfressen will. Wenn wir ihn schneller entlarven könnten und einander alles gönnten. Ich glaube, wenn wir uns vor ihm mehr in Acht nähmen, dann ginge es viel fröhlicher unter uns zu.
Darum wünsche ich Ihnen noch einen schönen, wachsamen Tag - ein Tag, an dem Sie rund um die Uhr den Neid entlarven.
Quelle : Axel Kühner, Überlebensgeschichten für jeden Tag, S. 116