Der Turm bröckelt
Wenn Sie einen Spaziergang durch das Zentrum von Eupen machen, kommen Sie bei der Gospertstraße zwangsläufig an der evangelischen Friedenskirche vorbei. Der Turm der Kirche ist mit einem Schutzgerüst und einem Schutzkorsett versehen.
Im Frühjahr 2007 fiel ein Stein vom Turm und man stellte fest, dass das Gemäuer dringend sanierungsbedürftig ist.
In langwierigen bürokratischen Prozeduren versuchen Verantwortliche der Kirchengemeinde, der verschiedenen Ortsgemeinden und der Deutschsprachigen Gemeinschaft eine Renovierung und vor allem die Finanzierung der Renovierung zu organisieren.
Sehr viel Geld wurde bereits für Sicherungsmaßnahmen und Planungen ausgegeben, ohne dass bisher viel geschehen ist.
Für mich ist dieser Turm ein Sinnbild des Zustandes unserer Kirchen heute. Die traditionellen Kirchen brökeln und verfallen. Die Zeiten, dass man stolz und mühelos neue Kirchen baute, weil man gemeinsam Interesse daran hatte, ist vorbei. Nur schleppend geht eine Renovierung voran. Dabei haben wir es in Belgien noch gut.
In Holland, so las ich vor kurzem, wird pro Woche eine Kirche geschlossen und verkauft. Wenn dieser Trend anhält, sind das in den nächsten zehn Jahren 1'000 Gemeinden betroffen. Aber auch wir Christen in Belgien könnten uns die großen Kirchen nicht mehr leisten, wenn wir nicht tatkräftig von der öffentlichen Hand unterstützt würden. Was wäre, wenn dies hier nicht der Fall wäre?
Die Kirche braucht eine innerliche Erneuerung. Eine Reformation. Viele die an Gott glauben und ihm nachfolgen wollen, dürfen nicht mehr vor sich hindösen. Sie müssen beginnen: leidenschaftlich, großzügig, betend, provozierend, gerecht und aufbauend neue Wege finden. Viele Menschen in unserem Land sehnen sich nach Begegnung mit Gott und echter Gemeinschaft. Aber nicht mehr wie früher nach einer Kirche' mit großem Gebäude, Sonntagmorgen-Gottesdienst und bezahltem Profi. Sicher wird es die bestehenden Gemeindeformen auch weiterhin geben, aber als Teil einer viel bunteren Palette.
Die junge Generation ist im sozialen Netz aufgewachsen. Sie suchen Kirche als Mitmach-Netzwerk für Jedermann. Sie wollen ihre von Gott empfangenen Ideen und Talente, ihre Kreativität, ihre Lern- und Lebenserfahrungen einbringen und so Kirche gestalten und Gottes Auftrag ausführen. ‚Von unten nach oben‘ entstehen neue Gemeinschaften - hört man in Fachzeitschriften immer wieder. Diese Gruppen breiten sich durch Freundschaften und Beziehungen aus, durch soziale Netzwerke aller Art; deshalb sind sie in der Regel vielseitig und flexibel aber auch klein und ohne sichtbaren Kirchtürme.
Diese kleinen Gruppen treffen sich in Häusern und Wohnzimmern, in Schulen, Büros,
Cafés, Restaurants oder auch im Freien. Sie haben sechs Zutaten: Jesus, Freundschaft, Gebet, eine gemeinsame Mahlzeit, sie dienen Menschen oft ganz praktisch und sagen dabei das Evangelium weiter. In Europa nehmen diese einfachen Kirchen jährlich um 20 % zu. Es ist eigentlich einfach - jeder kann das machen! Man braucht nur einen Tisch, einen Kühlschrank und ein Herz für Menschen.
Das sind Kirchen ohne Türme, die brökeln können.
Aber haben wir den Mut, die Herausforderung dieser Reformation anzunehmen?